Deutschlandradio Kultur 10.9.2011


Möbel zum Sterben


Anna Siotto ist Schreinerin. Vielleicht eine etwas ungewöhnliche Schreinerin. Sie lebt mal in Deutschland, mal in Italien und sie macht eigentlich all das, was auch jeder andere Schreiner so tut. Doch Anna Siotto macht noch mehr. Lange hatte sie gezögert, neben Tischen, Stühlen oder Schränken auch die üblichen Särge zu bauen. Es erschien ihr irgendwie sinnlos, ein aufwändiges Werkstück nur für einen einmaligen Gebrauch anzufertigen. Dann kam sie irgendwann auf eine Idee. Sie baute Möbel zum Leben, die auch im Tod noch nutzbar sind. Es sind schöne, handgefertigte Möbelstücke aus naturbelassenem Holz, die als Schrank, als Regal oder Garderobe zu nutzen sind. Wenn dann der Lebensweg des Besitzers zu Ende geht, dann entfernt man einfach die Inneneinrichtung. Entnimmt Regalbretter oder Garderobenstange und hat seinen Sarg, in dem man nun begraben werden kann.

Ihre Idee hat mich fasziniert und ist doch für unsere Lebens- und Wohnkultur ziemlich ungewöhnlich. Denn den Tod, den halten wir uns ganz gerne vom Hals solange es geht. In der Regel begegnet er uns im dezent silbergrauen Leichenwagen auf der Straße oder den Todesanzeigen der Tageszeitung. Plötzlich näher rückt er uns nur, wenn der Verstorbene jemand war, den wir gekannt haben. Womöglich einer, der sogar jünger war als wir. Mit Siottos Sargmöbeln jedoch steht die Erinnerung an die eigene Endlichkeit gewissermaßen im Wohnzimmer. Wer ein solches Möbel hat, begegnet ihr quasi Tag für Tag. Auch wenn der Tod damit natürlich keinen Tag früher ins Haus kommt, gewöhnungsbedürftig mag das dennoch sein. Ihre ungewöhnlichen Möbel sind für mich so etwas wie eine andere Form des Totentanzes. Auf Gemälden oder an den Portalen manch alter Kirche kann man ihn gelegentlich finden. Szenische Darstellungen, in denen Figuren das Thema Tod variieren. Oft tritt er dort sogar selber auf. Personifiziert als kapuzentragender Sensenmann etwa, der umhergeht, um Menschen abzuholen. Bedenke immer, dass deine Zeit hier nur begrenzt ist, darum nutze sie, riefen solche Bilder den Vorübergehenden zu. Genau das könnten auch Siottos ungewöhnliche Sargmöbel tun. Nicht jedoch, um uns den Tag zu vermiesen, sondern ganz im Gegenteil. Als eine Einladung, jeden neuen Tag erst recht bewusst zu leben. Denn wir haben hier auf Erden ja nur diese eine, gar nicht so lange Zeitspanne, die uns zur Verfügung steht. Das Bewusstsein um ihre Begrenztheit ist es, die sie erst so richtig wertvoll macht.

Über den Autor Martin Wolf
Martin Wolf, Jahrgang 1962, geboren und aufgewachsen in Westfalen. Nach dem Studium der Katholischen Theologie in Münster seit 1990 im Bistum Speyer tätig. Nach Stationen als Pastoralreferent in der Gemeindeseelsorge arbeitet er seit 2004 in der Hochschulseelsorge in Kaiserslautern. 2010 wurde er zusätzlich zum Beauftragten des Bistums Speyer für die Katholische Rundfunkarbeit beim SWR und SR ernannt. Der Theologe ist verheiratet und hat zwei Kinder.