Artikel in der Frauenzeitung für Darmstadt und Umgebung "Mathilde", Januar/Februar 2008

Im Winter lebt und arbeitet Anna Siotto in Italien auf der kleinen Insel Alicudi, im Sommer hat sie ihre Werkstatt und ihr Lebensumfeld auf einem Biohof in Süddeutschland.

Mit ihren Sargmöbeln war Anna Siotto an der Ausstellung "Dernier Cri - Designer gestalten den Abschied" im Museum für Sepulkralkultur (Totenkultmuseum) in Kassel beteiligt.

Im Leben und für den Tod

Die Sargmöbelbauerin Anna Siotto fertigt Sargmöbel und Grabbretter, die im Leben als schönes Möbelstück genutzt werden können und dann als Sarg mit ein paar einfachen Handgriffen umfunktioniert werden können.

Sie ist Schreinerin und Künstlerin und sie hat sich auf eine nicht ganz alltägliche Anfertigung spezialisiert: Anna Siotto baut Sargmöbel.
Sargmöbel, was ist das?, frage ich. Und wie kommt frau auf eine solche Idee? "Der Gedanke ist langsam gewachsen", antwortet die 49jährige Italienierin, die perfekt Deutsch spricht, weil sie viele Jahre in der Gegend um Neu Isenburg lebte. "Vor über zehn Jahren hat mich meine Freundin Ajana Holz gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, in ihr Unternehmen Frauen bestatten Frauen einzusteigen." ("Die Barke", siehe Artikel Seite 4). In diesen Gesprächen wurde Anna Siotto zwar klar, dass sie selbst nicht bestatten wollte, doch das Thema Tod und letzte Reise war nicht völlig abwegig für sie. Als Schreinerin war sie immer schon mal mit Sargbau beschäftigt, allmählich entwickelte sie in den Gesprächen mit ihrer Freundin eine Idee, Särge nicht nur als Grabutensil für den einmaligen Gebrauch zu sehen, sondern eine Verbindung zum Leben herzustellen. "Jetzt, im Leben, ein schönes Möbelstück genießen, das irgendwann dann für die letzte Reise mit ein paar einfachen Handgriffen zum Sarg wird", sagt sie.
Der Sarg als etwas Überdauerndes, der Sarg als Verbindung zwischen Leben und Tod, der Sarg als Kunstwerk, ganz individuell gestaltet mit mehr als einer Funktion. "Särge können durchaus noch eine andere Funktion haben, als nur die, für Aufbahrung und Beerdigung zu dienen", sagt sie. "Warum viel Geld ausgeben nur für die Bestattung und sich im Leben nichts gönnen? Schöne Särge können auch als Möbelstück bereits im Leben Freude machen. Schließlich sterben wir nicht früher, nur weil wir einen wunderschönen Schrank im Flur stehen haben, den wir später als Sarg benutzen können."
Dauerhaft für's Leben und gleichzeitig eine Vorbereitung für die letzte Nutzung - ist das ein anderer Umgang mit dem Tod?, frage ich sie. "Da sind die Meinungen ganz gespalten", antwortet Anna Siotto. "Es gibt Menschen, die sich das überhaupt nicht vorstellen können. Aber ich habe einige KundInnen, für die es ein durchaus wichtiges Thema ist und die mit Freude ihr Sargmöbel zu Hause genießen." Hat das etwas mit der Auseinandersetzung mit dem Tod zu tun?, frage ich weiter. "Ich glaube, es gibt eine Menge Menschen, die sich auseinandersetzen, aber trotzdem kein Sargmöbel möchten. Aber die, die es bisher bestellt haben, von denen kann ich sagen, dass sie sich sehr mit dem Thema Leben und Sterben beschäftigt haben. Sargmöbel ist jedoch ein äußerst spezieller Bereich, der eben manche Menschen anspricht. Für sie gehört die Nähe zum Tod zum Leben dazu. Der Sarg wird quasi zu einer Art Rückbesinnungsinstrument: Was ist wirklich wichtig in meinem Leben? Das ist in den meisten Fällen etwas sehr Konzentriertes, nicht die kleinen Dinge, die einen jeden Tag so ärgern. Diese Idee ist aber nicht von mir, es gibt sie schon lange, wie zum Beispiel eine japanische Tradition, bei der die Menschen sich zur Rückbesinnung in ihren Sarg zurückziehen, wenn sie im Leben überfordert sind."
Habe ich mit dem Kauf eines Sargmöbels schon eine Vorabregelung für meinen Tod getroffen? "Erstens finde ich Regelung für den Tod zu treffen ebenso wichtig, wie das Leben zu organisieren. Sterben ist in Deutschland und auch in Italien ein sehr bürokratischer Prozess. Unsere Trauerkultur ist geprägt durch Würdelosigkeit und nicht dadurch, was ein Mensch wirklich braucht. Die Rituale nehmen ab. Das ist insbesonders für die Hinterbliebenen schwierig. Wenn jedoch ein Mensch seinen Hinterbliebenen sagen kann, was er wirklich gerne will, dann gibt das dem Tod wieder Würde. Ob das nun ein Sargmöbel ist oder die Wahl einer Begräbnisstätte oder der Wunsch nach einer bestimmten Begräbnisart, das ist nicht wichtig. Wichtig finde ich: Würde im Leben und im Tod."
Anna Siotto lebt und arbeitet alleine - in den Herbst- und Wintermonaten auf der kleinen äolischen Insel Alicudi südlich von Sizilien, in der anderen Hälfte des Jahres auf einem Biohof in Süddeutschland. Bei ihrer Arbeit verwendet sie ausschließlich einheimische Hölzer, in der Regel solche, die wegen der Maserung oder eines Astloches als mangelhaft eingestuft werden. Aus diesen einzigartigen "Fehler"-Stücken entstehen ihre Kunstwerke - neben Sarbmöbeln auch Urnen oder Grabbretter. Einige ihrer Entwürfe stellte sie im Kasseler Museum für Sepulkralkultur aus.

Artikel von Gabriele Merziger